LIQUID FANTASY greift den Zeitgeist einer Welt auf, in der physische und virtuelle Realität zunehmend verschmelzen. Ausgehend von ihren Arbeiten auf Leinwand verschieben und verlagern Eunjeong Kim und Carolin Israel die Wahrnehmung der Betrachter*innen. Zentrum und Peripherie der Malerei hinterfragend, nähern sich die beiden Künstlerinnen spielerisch diesen gegensätzlichen Polen an, bis außen wie innen, flüssig wie fest erscheint. Israel und Kim erweitern ihre Formensprache über die Leinwand hinaus in den realen und virtuellen Raum. Sie brechen den Bildraum auf, strecken ihre Finger nach unseren Sinneswahrnehmungen aus. So können wir - als befänden wir uns im Inneren von Israels Gemälden - ihre skulpturalen Bildfragmente umschreiten und bei Kim mit Hilfe technologischer Sinneserweiterung tatsächlich visuell und auditiv in ihre Arbeiten eintauchen. Kim und Israel provozieren Reflexionen über die Grenzen der Kunst. Ihre Arbeiten sind weder rein skulptural noch rein malerisch zu verstehen, sondern provozieren eine Auseinandersetzung, die die gewohnten Kategorien von Kunst herausfordert. Ihre Arbeiten überschreiten die Grenzen des physischen Raums und verbinden Malerei, Skulptur und digitale Medien zu einem spannungsreichen Dialog.
Wir haben Carolin Israel im Rahmen unserer Ausstellung Liquid Fantasy in Nürnberg kennengelernt. Ihre Arbeiten sind raumgreifend, wirken wach, atmend, tastend – wie etwas, das sich selbst nicht festlegen will. Auf den ersten Blick fiel uns auf, wie sich in Carolin Israels Arbeiten organischen Strukturen mit etwas Körperhaftem verbinden. Linien, die wachsen, sich biegen, abbrechen – wie Adern oder Gliedmaßen. Viel Freude mit unserem Interview
Würdest du sagen, dass dieses Spannungsfeld zwischen Botanischem und Figurativem etwas ist, das Dich bewusst begleitet bzw. sich aus deinen Reisen ergibt?
Während des Malens denke ich nicht über die Herkunft der Bildwelten nach. Ich suche nach den Spielregeln des Werkes. Die Ambiguität, das „Dazwischen“, ist dabei tatsächlich essenziell. Damit bleibt etwas im Verborgenen, ein Geheimnis, das man ergründen möchte. Im Nachhinein erkenne ich teilweise Formen, Farben und Atmosphären aus meiner Umgebung und Erinnerung wieder. Das spiegelt sich dann auch in den Titel. Das Bild „Chingaza“ ist nach einem-Naturschutzgebiet in den Hochebenen der Anden benannt. Auf einer Kolumbienreise bin ich dort einer Vielzahl an Farben und Formen in Flechten, Sträuchern, Kakteen und Moosen begegnet, die mich derart fasziniert haben, dass sie meine Vorstellungskraft nachhaltig bereichern. Auch wenn ich nicht direkt Pflanzen male, kann man die Atmosphäre der Landschaft in dem Bild spüren. Diese Kolumbienreise war so vielschichtig und eindrücklich, dass sie seitdem in den Flora, Fauna- und Landschaftsassoziationen in meinen Werken widerhallen.
Deine Malerei entsteht in Schichten, oft parallel. Mehrere Bilder gleichzeitig, verschiedene Materialien: Acryl, Öl, Airbrush, keine Skizze, keineVorzeichnung - stattdessen ein tastender Prozess. Gibt es für dich einen Moment, in dem du spürst: Jetzt beginnt das Bild – jetzt ist es wirklich da?
Heureka! Ja das ist der schönste Moment, wenn man merkt, dass man an einer neuen Idee dran ist und auf einmal etwas passiert, dass mehr ist als Farbschichten übereinander!
Du hast bei Tomma Abts und Katharina Grosse an der Kunstakademie Düsseldorf studiert. Du hast im Gespräch erwähnt, dass Katharina Grosse dir damals die Frage gestellt hat, wo deine Formensprache eigentlich herkommt. Ist diese Frage heute für dich beantwortet – oder ist sie Teil deiner künstlerischen Bewegung Haltung geblieben?
Ich hab die Frage für mich sehr gut gelöst, indem ich sie einfach an das Publikum weiterreiche! Bei mir ist einfühlen und mitdenken gefragt. Meine Werke sind Werkzeuge für die Fantasie, gespeist aus unseren Sehgehwohnheiten.
Du schaffst seit einigen Jahren auch räumliche Arbeiten. Wie kam es dazu? Hat deine Auseinandersetzung mit der dritten Dimension auch Auswirkungen auf dein malerisches Werk?
Seit meinem Residency in Kolumbien bin ich auch in die dritte Dimension gegangen. Die Malschichten splitten sich in den Skulpturen auf, zu einer mehransichtigen Malerei. Damit kann ich die Besuchenden noch tiefer in meine Bildwelten wortwörtlich hineintreten lassen. Auch in den Bildern wirkt sich das wiederum positiv aus, ich habe mehr Ideen denn je!
Deine Bilder bleiben offen. Linien, die nicht zu Ende führen, Flächen, die sich zurückziehen. Wann weißt du, dass ein Bild für dich fertig ist – oder ist genau das die falsche Frage?
Ich möchte, dass meine Bilder durchhalten und immer wieder neu zum Sehen anregen. In dem Moment, wo das geglückt ist, weiß ich, dass die Arbeit fertig ist. Aber wenn ich eine Abkürzung nehmen will, sie frühzeitig für beendet erkläre, dann kann ich mich da nur kurz selbst täuschen. Ich gestehe mir ein, dass es erneut Zeit und Wagnis braucht. Und es lohnt sich, so manches Zwischenergebnis über den Haufen zu werfen. Schicht um Schicht bildet sich ein Geflecht aus Suggestionen.
Und zuletzt: Du kommst aus Chemnitz. Dieses Jahr präsentiert sich deine Heimatstadt als Kulturhauptstadt Europas. Bist du mit einem Projekt beteiligt?
Am 17.Juli eröffnen wir die Ausstellung „STADT AM FLUSS - STADT IM FLUSS“ im Garagencampus in Chemnitz. Der Ort ist Teil der Kulturhauptstadt und ein riesiges ehemaliges Straßenbahndepot, in dem Düsseldorfer und Chemnitzer Künstler*innen gemeinsam ausstellen werden. Ich habe besondere persönliche Bezüge dazu, da sogar meine Uhroma einmal dort auf dem Gelände gearbeitet. Jetzt lebe ich in Düsseldorf. Beide sind Partnerstädte, aber man weiß aus erster Hand kaum etwas übereinander und ich begegne oft Vorurteilen. Gerade bei den aktuellen Entwicklungen finde ich einen direkten Austausch – zwischen neuen und alten Bundesländern - wichtiger denn je!