Artissima

01.Nov - 03.Nov 2024

Turin

Photo: © Perottino-Piva/Artissima.

Für die diesjährige Artissima präsentieren wir die junge aufstrebende Künstlerin Lotti Brockmann, eine interdisziplinäre Künstlerin, deren Arbeit sich durch einen feministischen Ansatz und eine kritische Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und Machtstrukturen auszeichnet.

In "STOLEN STATUES (LICKED)" verwandelt Lotti Brockmann die Mund-Nasen-Bereiche bekannter männlicher und weißer Statuen im öffentlichen Raum in große Lollipop-Skulpturen aus Zucker, die in der Ausstellung abgeleckt werden können. Dabei wird etwas sehr Intimes und zugleich Öffentliches angeeignet - die Münder werden gestohlen! Dieser Akt der Aneignung ist eine mutige Herausforderung an traditionelle Machtstrukturen und Geschlechterrollen. Er bietet den Besuchern die unglaubliche Möglichkeit, sich männliche Autoritätssymbole durch Lecken anzueignen, zu verdauen und zu dezentralisieren. Der Akt des Leckens ermöglicht es den Teilnehmern, ihre eigenen Geschichten und Erinnerungen in den kollektiven Diskurs einzubringen und so alternative historische Perspektiven zu beleuchten. Lotti Brockmann sieht dies als einen befreienden Akt, bei dem sie sich erlaubt, die Grenzen dessen auszuloten, was im öffentlichen Raum erlaubt ist. Dies wirft nicht nur Fragen nach dem Urheberrecht der Skulpturen auf, sondern beleuchtet auch die Frage der Partizipation an öffentlichen Erinnerungsorten.

Auch die Materialität des Zuckers ist ein wichtiger Faktor. Zucker ist nicht nur ein passiver Bestandteil der Kunstwerke; er hat seine eigene faszinierende Geschichte, Symbolik und Körperlichkeit, die seine Wirkung auf das Kunstwerk beeinflusst. Die Zusammenhänge zwischen der Plantagenwirtschaft, dem Aufkommen monokultureller Produktionsmethoden und der Entstehung des Nationalstaates und seiner stabilisierenden Narrative lassen sich auf den Zucker zurückführen. Die Einbeziehung von Zucker in das Kunstwerk ist eine erstaunliche Gelegenheit, die komplexen sozialen und historischen Dimensionen dieses Materials zu erforschen und eine kritische Reflexion über die tiefgreifenden Auswirkungen von Klassismus, Sexismus und Kolonialismus auf unsere Gesellschaft anzustoßen.

Darüber hinaus beginnen die Figuren in Abhängigkeit von den räumlichen Gegebenheiten der Ausstellung zu schmelzen. Die Gesichtsausdrücke verändern sich, werden grimmig oder verschmelzen zu abstrakten Formen. Die Identität, die zuvor als stabil wahrgenommen wurde, wird fließend. Das Schmelzen der Skulpturen im Laufe der Ausstellung kann als Metapher für die Vergänglichkeit und Fluidität von Identität und Geschlecht gesehen werden - ein faszinierender Prozess! Das Material Zucker erweist sich als handlungsfähig, und die jeweiligen Räume und Bedingungen schreiben sich im Laufe der Ausstellung in die Skulpturen ein.

Im Hinblick auf die Artissima-Ausstellung ist es unsere Absicht, eine Auswahl von Abgüssen u.a. von Franz Schubert, Erwin Schrödinger und Peter Paul Rubens zu zeigen.

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